Anno 1958 - 800 Jahre Stadt Winsen


Der große Festumzug von 1958: 800-Jahr-Feier und Schützenfest.

Heidekönigin Frauke Weber und Bürgermeister Dr. Fritz Broistedt 1958.
Ein Menschenstrom ohne Ende drängt 1958 zum Schützenplatz.

 

Die enge Verbindung zwischen Schützenkorps und Stadt wurde 1958 noch einmal so richtig deutlich. Die historische Wurzel dafür ist die alte städtische Bürgerwehr. Nun Anno 1958 überschlugen sich in Winsen die Ereignisse. Das 800jährige Stadtjubiläum war zu feiern. Womöglich noch mehr zu feiern war die höchst erfreuliche Tatsache, daß der Kreistag des 1932 aus den Kreisen Winsen und Harburg gebildeten Großkreises beschlossen hatte, in Winsen das Kreishaus zu bauen. Winsen sollte künftig Kreissitz sein!
Das mußte in der Tat unübersehbar gefeiert werden. Der absolute Höhepunkt der ganzen Feierei sollte der Festumzug am Sonntag, dem 6. Juli 1958, mitten durch die Stadt werden. Stadt und Schützenkorps machten gemeinsame Sache. Der 6. Juli war identisch mit dem Schützenfest-Sonntag.


Die enge Verbundenheit war schon am Zapfenstreich-Donnerstag zu spüren. Als die Schützen auf dem Haselhorsthof aufmarschiert waren, rief Kommandeur Wilhelm Massa Bürgermeister Dr. Fritz Broistedt vor die Front und beförderte ihn zum Leutnant des Schützenkorps Winsen. "Ich habe für meine kleine Stadt nur meine Pflicht getan", wehrte der also Geehrte große Lobesworte ab.
Daß es hier um Winsen ging, sah jeder sofort. Vorm Haus des Kommandeurs am Haselhorsthof leuchtete eine 800 in den Stadtfarben Blau, Gelb, Rot. In den Fenstern rings um den Platz standen Hunderte von Kerzen. Eine Szenerie, der sich niemand zu entziehen vermochte.
Kurz darauf Großer Zapfenstreich in der Marktstraße vorm Hause des letztjährigen Königs Friedrich Rebenstorf. 2000 Mitbürger, so berichtete der "Winsener Anzeiger", wollten sich das Schauspiel nicht entgehen lassen.
Einen neuen König wußten die Winsener Schützen bereits zu diesem Zeitpunkt in ihrer Mitte. Es war Jubelkönig Herbert Kretschmer, vor dem Schützenfest ausgeschossen.


Am nächsten Tag kam der zweite König dazu, der König des Schützenjahres 1958. Die Winsener Schützen konnten sich keinen besseren wünschen, und dementsprechend war der Beifall, als Kommandeur Wilhelm Massa auf dem großen Saal des Schützenhauses bekanntgab, daß die neue Majestät Heinrich Schipper Rieckmann hieß. Zum drittenmal kam der König aus der Familie Rieckmann. 1932 hatte Großvater Heinrich Rieckmann den Königsschuß getan, vier Jahre später 1936 Vater Heinrich Rieckmann.
Zu den Gästen an der freitäglichen Königstafel gehörte auch Oberkreisdirektor Dr. Andreas Dehm. Von ihm wußte jeder, daß er nicht für Winsen als Kreissitz gewesen war. Aber nun sah er der neuen Realität ins Auge: "Sie können überzeugt sein, daß es keinen eifrigeren und energischeren Verfechter für den Kreisneubau geben wird als mich." Bravorufe und starker Baifall antworteten dem Verwaltungschef, der noch auf dem Winsener Schloß residierte.


Kommandeur Massa machte an der Königstafel Scherze über das Holperpflaster im Haselhorsthof. Nach immer sei nichts ausgebessert worden. Und darum gab er den Befehl, daß am Schützenfest-Montag Stadtdirektor Erich Leuffert, Bürgermeister Dr. Broistedt und stellvertretender Bürgermeister Wilhelm Rohlandt das Pflaster glatttreten sollten.
Dr. Broistedt antwortete, aber nicht zur Sache. Er wiederholte einfach das morgens auf der Rathaustreppe ausgegebene Motto des Schützenfestes: "Heut woll´n wir lustig sein, heut woll´n wir fröhlich sien, heut ist die Welt voll lauter Sonnenschein."
Der sonntägliche Festumzug war vier Kilometer lang. Die Zigtausende von Menschen entlang den Straßen, durch die der Zug führte, durften eine volle Stunde lang staunen über das, was da an ihnen vorbeiflutete.
Vorweg eine Reitergruppe. Sodann Reiter als Herolde kostümiert. Ratsherren und Pagen eskortierten den Träger der Bardowicker Urkunde von Anno 1158 am Beginn der urkundlichen Überlieferung des Städtchens Winsen. Eine übergroße 800 auf dem Festwagen der Gärtner setzte einen Akzent aus Hunderten bunter Blumen.
Nun fuhren die Könige mit ihrem Gefolge vorbei: der Schützenkönig und der Jubelkönig. Außer ihren Königinnen gab es eine dritte Königin. Just zum Jubiläumsjahr 1958 stellte Winsen mit Frauke Weber die Heidekönigin. Eine goldene Krone im Haar, lächelte die jung und schön ihren vielen Bewunderern zu.
Alles, was Namen hatte in Winsen, war auf den Festwagen zu sehen: die Papierfabrik Eppen, die Werkzeugmaschinenfabrik Eriksen, die Marmeladenfabrik Weseloh, die Molkerei und die Wassermühle, die Osthannoversche Eisenbahn (OHE) mit dem Modell einer neuen Lokomotive, die Post mit Kutsche und Postillon.


Der Handel präsentierte einen ganzen Kaufmannsladen, die Gastwirte luden in ihr Lokal "Zur rollenden Luhequelle" auf einen Brauereiwagen ein, eine Gruppe von Neusiedlern präsentierte ein Häuschen, die Schifferbrüder führten ein Boot im Umzug mit. Nicht zu vergessen die Handwerker, so die Schlachter und die Schornsteinfeger.
Ganz groß kam die Feuerwehr heraus. Einerseits fuhr die in einem uralten Auto. Andererseits überraschte sie mit einer "Atom-Abwehrkanone" zur Brandbekämpfung.
Der MTV war zum Beispiel durch Fechter mit dabei. Der TSC konnte nicht fehlen. Komisch wirkten Sportler, speziell Schwimmer, in Kostümen der Großeltern.
Der Volkstanzkreis war dabei, der Radfahrverein "Pfeil" mit seinen Hochrädern schien wiedererstanden. Man sah die Angler und den Motorroller-Club. Die Schäferhund-Züchter präsentierten Rotkäppchen und der Wolf. Die Landsmannschaften der vielen Flüchtlinge mußten dazugehören: die Pommern, die Schlesier sowie die Ost- und Westpreußen.
Als der Vier-Kilometer-Festumzug auf dem Schützenplatz eingetroffen war, dankten Schützenkommandeur Massa und Bürgermeister Dr. Broistedt vor allem einen Mann: Wilhelm Peters. In seiner doppelten Funktion als Schütze und Vorsitzender des Handels- und Verkehrsvereins hatten er und sei Mitarbeiterstab das riesige Spektakulum organisiert.


Beim Kinderschützenfest am Montag gab es nach längerer Abwesenheit endlich einen Kletterbaum; Lebrecht Maack senior hatte ihn besorgt. Das Kinderschützenpaar hieß Uwe Peters und Rita Riesebeck. "Wie die Alten schossen, so schossen auch die Sprossen", kommentierte der "Winsener Anzeiger".
Die Erinnerung an das doppelte Ereignis Stadtjubiläum und Schützenfest hält die aus diesen Anlässen angeschaffte vierte Fahne der Schützenkorps aufrecht. Die Maße: 1,20 mal 1,13 Meter. Die Vorderseite in Weiß-Beige zeigt das Winsener Stadtwappen, mit Eichenlaub verziert. In allen vier Ecken des Fahnentuches sind Schießscheiben zu sehen, auch diese eichenlaubverziert.
Die rückwärtige Seite in Grün und Weiß-Beige zeigt eine Schießscheibe mit gekreuzten Gewehren. Die Scheibe ist ebenso wie die Ecken des Fahnentuchs mit Eichenlaub verziert. Die Aufschrift lautete: "Schützenkorps Winsen / L." und 1848 - 1958".

Die Fahne von 1958.